Donnerstag, 30. August 2012

Daguerreotypie von Joh. Richter "Vaters Vater Stoldt" 1858


Passepartout aus grüngrauem Papier, schwarz und goldfarben bedruckt, ca. 13,5 x 11,0 cm,
Bildausschnitt: 7,3 x 6,1 cm, Holzrahmen: 19,5 x 17,0 x 2,0 cm.
Provenienz: aus dem Nachlass einer norddeutschen Privatsammlung.

Das Glas der ursprünglichen Einfassung ist noch erhalten. Die alte Rückseite und Aufhängung dagegen ging wohl bei der späteren Einrahmung verloren. Auf der Rückseite dieser Holzrahmung ist der Dargestellte in Bleistift bezeichnet als „Vaters Vater Stoldt“ und von gleicher Hand auf 1858 datiert. Die Beschriftung erfolgte also ein oder zwei Generationen später, wahrscheinlich durch einen Enkel.

Porträt von Flecken und Kratzern digital gereinigt
Dreiviertelporträt. Der Dargestellte, ein circa dreißigjährige Mann sitzt vor einem gemalten Hintergrund an einem kleinen runden Beistelltisch, auf den er den linken Arm abgelegt hat und auf dem eine leere Vase steht. Die rechte Hand ruht auf dem rechten Oberschenkel. Der Dargestellte ist vollbärtig, die Kopfhaare sind kurz und glatt anliegend, die Schläfenhaare aber gelockt nach vorne gelegt.
Er trägt offen eine zweireihig geknöpfte, wohl schwarze Jacke mit breiten Revers, eine gestreifte dunkle Hose, eine wohl bunte, karierte Weste mit aufgesetzten Tressen, ein weißes Hemd und ein Halstuch, das zu einer Schleife gebunden ist. Er trägt keine Ringe, aber als Schmuck ein kleines, zweigliedriges Perlengehänge an dem einzig sichtbaren Hemdknopf. Eine dünne Kordel, die er um den Hals trägt, ist durch eine Brosche auf Brusthöhe zusammengefasste und verschwindet dann unter der Jacke. An ihr ist wahrscheinlich eine Taschenuhr befestigt, die sich in einer Westentasche befindet. Die prägnante Vase auf dem Tisch erinnert mit ihren aufgesetzten weißen Schmuckelementen auf glattem, matten Grund an Jasperware. Sie ist sechseckig und hatte einmal zwei Henkel, von denen der hintere abgebrochen ist. Der untere Ansatz ist noch vorhanden. Denkt man sich den zweiten Henkel hinzu hatte die Vase die Form einer eckigen Amphore. Am Fuß, am Übergang vom Bauch zum Hals, der ein Korbmuster hat, und am oberen umlaufenden Rand sind florale Elemente zu sehen. Unterhalb des Henkels ist eine männliche Maske. Das seitliche Relief zeigt ein tanzendes Mädchen. Die Tücher ihres Kleides umwehen ihren Körper. Sie steht auf der linken Fußspitze und hält mit beiden Armen über dem Kopf einen Früchtekorb.
Der gemalte Atelierhintergrund zeigt eine Seen- oder Flusslandschaft. Jenseits des Gewässers liegt eine Hügelkette. Diesseits, am linken Rand des Bildes, ist ein steil ansteigender Berghang zu sehen, auf dem ein runder Turm steht. Am rechten Bildrand, weiter im Vordergrund steht eine Kirche mit spitz zulaufendem Turm. Vor der Kirche befindet sich ein Weg oder eine Freifläche und Gebüsch. Zwischen dem gemalten Hintergrund und dem Dargestellten und dem Tisch befindet sich eine reale, niedrige Balustrade mit gekreuzten Elementen, die den Übergang zwischen Bild- und Realraum verschleiert.

Durch die freundliche Hilfe von Jochen Voigt konnte die Daguerreotypie dem Photographen J. Richter zugeschrieben werden. Jochen Voigt erinnerte sich auf Nachfrage an eine andere Aufnahme, bei der die gleiche Vase, und, wie sich dann herausstellte, sogar der gleiche Tisch benutzt wurden. Auf der originalen Rückseite dieser Daguerreotypie, die ein Proträt von Ottomar Schiemann von 1850 zeigt, befindet sich ein ovales Etikett mit der Angabe „DAGUERREOTYP VON J. RICHTER BERLIN.“
Diese Daguerreotypie ist von mir näher beschrieben und besprochen auf der wunderbaren und verdienstvollen Internetseite von May und Jochen Voigt: daguerreotype-gallery.de

Das Porträt von Ottomar Schiemann ist durch seine Tochter zeitnah auf 1850 datiert, das von Großvater Stoldt von einem Enkel auf 1858. Das erste Datum hat eine hohe Glaubwürdigkeit, das zweite kann über zwei Generationen zurückblickend auch nur geschätzt sein. Im Zeitraum zwischen den beiden Aufnahmen ist jedenfalls ein Henkel der Vase abgebrochen. Dass es sich um genau dieselbe Vase handelt, steht außer Frage. Da in beiden Aufnahmen auch der Tisch identisch ist, muss es sich um Requisiten des gleichen Fotografen handeln. Das Porträt von Großvater Stoldt ist also mit Sicherheit auch von J. Richter gefertigt worden.
Über diesen Fotografen ist nicht viel, aber doch einiges bekannt. Fritz Kempe schreibt über J. Richter im Kapitel "Die fotografische Frühzeit in Mecklenburg und Neu-Vorpommern" (S. 173-178) in seinem Buch Daguerreotypie in Deutschland, Vom Charme der frühen Fotografie (Seeburg am Chiemsee, Heering Verlag, 1979). Seine Informationen bezieht Kempe aus den Veröffentlichungen von Wolfgang Baier. In dessen von Kempe im Text angeführten Quellendarstellungen zur Geschichte der Fotografie wird J. Richter aber nicht erwähnt. Der eigentliche Referenzentext ist wohl der Artikel von Wolfgang Baier, "Zur Frühgeschichte der Photographie in Stralsund und Greifswald", in: Greifswald-Stralsunder Jahrbuch, Bd. 3, 1963, S. 179-202. Dort teil Baier mit: „In Stralsund annoncierte der Photograph J. Richter zuerst am 10. Dezember 1850. Er kam, wie er selbst angab, aus Berlin, war 1849, vielleicht auch schon 1848 in Neustrelitz tätig und trat im Frühjahr 1850 in Neubrandenburg auf. Es ist wahrscheinlich, daß er nach seiner Ankunft im Dezember 1850 in Stralsund sich hier für die Dauer niederließ, denn im Dezember 1851 annonciert er wieder unter der Angabe der gleichen Adresse Heilgeiststraße 24. Seine erste Anzeige ist in mancher Hinsicht von Interesse („Strals. Zeitg.“, 10.12.1850, Nr. 288): ‚Lichtbilder. Ein geehrtes Publikum, welches Interesse für Daguerreotypien nimmt und sie zu Weihnachtsgeschenken zu verwenden beabsichtigen, ersuche ich, Ihre Sitzungen, welche in der Tageszeit von 10 bis 2 Uhr auch bei trüber Witterung geschehen, bald zu veranlassen. Der Preis ist für ein Porträt im Normal-Maßstab 1½ Thaler und möchten solche Bilder als zartes Geschenk zu betrachten sein, abgesehen von der Dauer, welche nach chemischen Grundsätzen der der Ölbilder nicht nachsteht. Auf Verlangen werden sie auch ohne Preiserhöhung koloriert gemacht.‘“ (Baier, S. 186)
In seinem Aufsatz „Der Maler-Photograph Wilhelm Bahr“ (in: Bild und Ton, 1963, Heft 4, S. 124-126, Fortsetzung in Heft 5, S. 149-151) verweist Wolfgang Baier (S.125, in Anm. 9) zudem auf eine Anzeige von J. Richter im Wochenblatt für Mecklenburg -Strelitz vom 28. Oktober 1849.
Richter war also zunächst als Wanderdaguerreotypist in Mecklenburg und Berlin unterwegs und dabei auf der Suche nach einer hinreichend großen ‚unbesetzten‘ Stadt, die ihm ein Auskommen dauerhaft sichern sollte und in der er sich niederlassen konnte. In Stralsund war er als erster und besetzt sogleich selbst dieses Einzugs- und Absatzgebiet. Baier berichtet von den Erinnerungen eines anderen Wanderdaguerreotypisten (aus: Photographische Chronik, 1912, S. 81) der vor dem gleichen Problem stand. Besagter Friedrich Wilde besichtigte als reisender Fotograf „mehrere schlesische Städte; in Berlin wurde ihm Frankfurt/O. angeraten, wo ein bereits ansässiger Konkurrent ihm Stralsund empfahl. Doch traf er dort den schon ansässigen Photographen Richter, der ihm sagte, er sei nach 7 Monaten Tätigkeit soweit, daß er hoffe, bescheiden existieren zu können. Wilde wandte sich darauf wieder nach Frankfurt.“ (Baier, S. 187)
Baier schreibt weiter: „ Richter hielt aus, und blieb in Stralsund, hörte nicht auf zu lernen und wandte sich 1853 auch der Papierphotographie zu sowie der Photographie aus Glasplatten. Im Juni 1852 verfügt er bereits über einen ‚Lichtsalon‘, den er sich in einem Eckhause der Baden- und Kleinschmiedstraße eingerichtet hatte (nach einer mehrfach wiederholten Anzeige vom 9. Juni 1852 in der „Strals.Ztg.“). Die Papierphotographie begegnet uns in Stralsund erstmalig in der Anzeige Richters vom 4. November 1853 („Strals. Ztg.“, Nr. 258): ‚Mit dem heutigen Tag eröffne ich neben meinem Daguerreotyp-Geschäft ein Geschäft für photographische Bilder auf Glas und Papier. Da diese Bilder in neuester Zeit so große Vollkommenheit erreicht, so habe ich keine Mühe und Kosten gescheut, auch dem hiesigen und umwohnenden Publikum ebenfalls Gelegenheit zu geben hier solche Bilder zu erlangen, da es nur wenigen Personen möglich war, sich solcher Bilder in Berlin oder anderen großen Städten zu verschaffen. Die Sitzungszeit ist wie beim Daguerreotyp nur wenige Sekunden und zwar jetzt in der Tageszeit von 9 Uhr bis 3 Uhr im eigens dazu konstruierten Lichtsalon, welcher bei kühler Witterung geheizt ist.“ (Baier, S.188)
Baier schreibt weiter: „1855 erbietet sich Richter am 2. Dezember wieder: ,Photographien sowohl auf Papier wie auf Silberplatten (Daguerreotypen), letztere bis zur kleinsten Medaillon-Größe täglich von 9 bis 2 Uhr im geheizten Glassalon anzufertigen.‘ Von dieser Zeit ab verlieren die Daguerreotypien mehr und mehr an Boden. In Anzeigen werden sie nicht mehr erwähnt.“ (Baier, S. 188)
Zum Abschluss dieses Kapitel listet Baier alle Fotografen, die im 19. Jahrhundert in Stralsund tätig waren, sowie den Zeitraum ihrer nachgewiesenen Tätigkeit. In dieser Liste nennt Baier zum ersten und einzigen Male den Vorname von J. Richter: „Julius Richter, 1850 - 1864“ (S. 198). Ulrich Pohlmann übernimmt den Vornamen Julius in einer Anmerkung zur Papierfotografie in: Alois Löcherer: Photographien 1845-1855, München, Schirmer/Mosel, 1998, S. 197, Anm. 8.

Gelistet wird J. Richter auch in: Wilhelm Dost, Die Daguerreotypie in Berlin 1839 - 1860, Berlin, R. Bredow Verlag, 1922: „In diesem Jahr [1846] stellte sich als neuer Daguerreotypist J. Richter, Leipziger Straße 96 ein.“ (S. 94) In der Liste auf S. 112 finden sich die auf Berlin bezogenen Informationen: früheste Feststellung im Dezember 1846, Adresse im Jahr 1850 ist die Leipziger Str. 96 und im Jahr 1853 die Wilhelmstraße 96, „danach nicht mehr“.
Die Angaben von Dost widersprechen den Eintragungen in den Adressbüchern für Berlin. Dort wird der Daguerreotypist Richter nur zweimal im Jahr 1847 in der Leipziger Str. 96 und im Jahr 1850 in der Wilhelmstr. 96, jeweils ohne Nennung eines Vornamens, aufgeführt. Die Adressen und der zeitliche Abstand der beiden Nachweise von drei Jahren stimmen überein. Insofern handelt es sich bei Dost wohl um einen Übertragungsfehler.

Ausschließlich im Jahr 1850 taucht in der fraglichen Zeit in den Berliner Adressbüchern der Nachname Schiemann auf. Genannt wird die Witwe Schiemann, geb. Lindemann in der Splittgerbergasse 4. Die Splittgerbergasse existiert heute nicht mehr, sie war aber nur circa 1,5 Kilometer von der Wilhelmstraße 96 entfernt. Dieses Zusammentreffen bestätigt die Angaben auf der Rückseite des Portraits von Ottomar Schiemann. Diese Aufnahme wurde von J. Richter 1850 in Berlin in der Wilhelmstraße 96 gefertigt. Das Portrait von Großvater Stoldt dagegen entstand einige Jahre später um 1858 in Stralsund, wahrscheinlich im Lichtsalon des Eckhauses in der Baden- und Kleinschmiedstraße.

Zu den bisher veröffentlichten Informationen zu J. Richter kann ich noch folgende hinzufügen: J. Richter war, was Baier nur vermutete, mit Sicherheit ab 1851 in Stralsund ansässig. Er war Mitglied im Literarisch-geselligen Verein zu Stralsund, der im Turnus von zwei Jahren Berichte veröffentlichte. Darin wird Richter als ‚einheimisches Mitglied‘ seit 1851 gelistet, und die penibel geführte Mitgliederstatistik unterscheidet sehr genau zwischen einheimischen und auswärtigen Mitgliedern:
9. Bericht des literarisch-geselligen Vereins zu Stralsund über sein Bestehen während der Jahre 1852 und 1853, Stralsund, in der Löffler´schen Buchhandlung (C. Hingst), 1854
Gelistet in Abteilung 14, Mitglied seit 1851, Nr.166: Richter (J.), Photograph.
10. Bericht des literarisch-geselligen Vereins zu Stralsund über sein Bestehen während der Jahre 1854 und 1855, Stralsund, in der Löffler´schen Buchhandlung (C. Hingst), 1856
Gelistet in Abteilung 14, Mitglied seit 1851, Nr.145: Richter (J.), Photograph.

J. Richter hatte zwei Jahre lang in Stralsund den späteren Berliner Hoffotografen Adolf Halwas als Lehrling und Assistent. Dies folgt aus einer biographische Skizze zum 50-jährigen Berufsjubiläum des Berliner Fotografen in: Photographische Chronik, Band 13, 1906, S. 175: „Bei dem Photographen Richter-Stralsund, in dessen Geschäft er am 3. April 1856 eintrat, lernte der Jubilar die Daguerreotypie und die damals sehr beliebte Panotypie kennen. Von April 1858 an war Halwas in Berlin tätig, (…).“

Im Allgemeinen Wohnungsanzeiger für Stralsund und die Vorstädte für das Jahr 1863, Stralsund, Sandhop, 1862, wird der Fotograf Richter mit der Adresse St. Nicolai-Quartier Nr. 204 angeführt. Auch hier ohne Nennung des Vornamen.

J. Richter war bis zum 5. Mai 1869 Mitglied im Photographischen Verein zu Berlin, der sich 1863 gegründet hatte. Hierzu der Bericht von Hermann Vogel in: Photographische Mittheilungen, Zeitschrift des Vereins zur Förderung der Photographie, Dr. Hermann Vogel (Hrsg.), 6. Jg., Berlin, Verlag von Robert Oppenheim, 1870, S. 62-63: „In der Sitzung des Photographischen Vereins vom 7. Mai meldeten 49 Mitglieder ihren Austritt unter Abgabe der folgenden Erklärung an: Die Unterzeichneten erklären ihren Austritt aus dem Photographischen Verein zu Berlin, weil sie der Ueberzeugung sind, dass die derzeitigen herrschenden Streitigkeiten innerhalb des Vereins die Zwecke desselben nicht zu fördern im Stande sind und das Ende derselben nicht abzusehen sei. Berlin, den 5. Mai 1869.“ Bei dem Streit handelte es sich wohl um die Frage des Beitritts von neuen auswärtigen Mitgliedern zum Photographischen Verein zu Berlin. Einer der Unterzeichner der Austrittserklärung ist J. Richter, ein weiterer Dr. Hermann Vogel, der Herausgeber der Photographischen Mitteilungen und Lehrer der Photographie an der Königlichen Gewerbe-Akademie zu Berlin.
Sechs Tage später am 11. Mai 1869 erfolgt in Abgrenzung zum Photographischen Verein zu Berlin die konstituierende Sitzung des neuen Vereins zur Förderung der Photographie, der eine „wissenschaftliche Tendenz“ haben soll. Man beschließt, der neue Verein soll die gleiche Satzung bekommen wie der alte, nur der Beitritt müsse neu geregelt werden. Bei dem Bericht von der Gründung des neuen Vereins wird J. Richter nicht genannt.

Richter kapselte sich also nicht in der kleinen Hansestadt Stralsund vom Rest der Welt ab. Er hielt engen Kontakt zur technischen Entwicklung und zu den Berufskollegen in der Hauptstadt. Richter ist dann aber doch wieder nach Berlin zurückgezogen. Im Berliner Adressbuch von 1868 wird im „Nachweis sämmtlicher Geschäfts- und Gewerbetreibender“ noch kein Fotograf namens Richter aufgeführt. Aber in der folgenden Ausgabe von 1870 (Ausgabe 1869 fehlt) wird ein J. Richter mit der Adresse Oranienburgerstr. 39 gelistet. Auch in der Mitgliederliste des Vereins zur Förderung der Photographie mit Stand vom Ende September 1870 (veröffentlicht in: Photographische Mitteilungen, 7. Jg., Berlin 1871, S.181) wird ein J. Richter als Berliner Mitglied geführt und als Adresse gleichlautend „Oranienburgerstr. 39“ angegeben. Bis 1868 ist unter dieser Adresse ein Fotograf namens Schnitzer ansässig, von dem Richter vielleicht das Atelier übernommen hat. In den Berliner Adressbüchern ist der Fotograf Richter dann durchgehend ab 1870 bis einschließlich 1890 mit dieser Geschäftsadresse nachgewiesen. Ab 1891 wird er nicht mehr als gewerblicher Fotograf gelistet, sondern nur noch mit der neuen Privatadresse NW, Thurmstr. 25, der die Berufsbezeichnung „Photograph“ beigefügt ist. Ab 1893 bis 1899 lauten die Berufsbezeichnungen „Privatier“ (1893, 1894, 1896, 1897, 1899), „Verwalter“ (1895) oder „Rentier“ (1898). 1900 wird unter dieser Adresse eine „Rentiere“ M. Richter geführt und ab 1901 wohnt keiner namens Richter mehr in der Thurmstr. 25.
Richter hat also wahrscheinlich um 1890 seine berufliche Tätigkeit eingestellt, ist wahrscheinlich um 1900 gestorben, und M. Richter war wohl seine Witwe.

Dazu passt die Information, dass das heute in der Oranienburger Str. 39 vorhandene Haus 1891 errichtet wurde. Der Vorgängerbau, in dem sich das Atelier von Richter befand, musste dafür abgerissen werden. Das wird der konkrete Anlass für Richter gewesen sein, in den Ruhestand zu wechseln.
   
Ich gehe aktuell davon aus, dass es sich bei dem Fotografen J. Richter, der in Berlin zunächst von 1847 bis 1850, und dann zwanzig Jahre später von 1870 bis 1890 aktiv war, um den gleichen J. Richter aus Stralsund handelt, der dort zumindest von 1850 bis 1864 aktiv war. Nachweise eines Fotografen namens J. Richter in Stralsund aus der Zeit nach 1864 liegen mir nicht vor, ebenso wenig wie Nachweise eines zweiten Fotografen gleichen Namens zeitgleich in Berlin. Bei J. Richter handelt es sich zwischen 1847 bis 1891 also jeweils immer um den gleichen Fotografen. Die Kontinuität in der Person schließe ich auch aus seiner Mitgliedschaft im Verein zur Förderung der Photographie. Ich habe darüber keinen eindeutigen Nachweis, aber wenn J. Richter aus dem Vorläuferverein 1869 unter Protest austritt und sich direkt anschließend der neue Verein konstituiert, ist es sehr wahrscheinlich, dass es eben dieser J. Richter ist, der 1870 Mitglied im neuen Verein ist.

Ich konnte nun Cartes de Visite eines Fotografen aus Berlin mit dem Namen Joh. Richter erwerben, dessen "Photographisches Institut" in der Oranienburger Str. Nr. 39 in Berlin war. Dabei muss es sich auch um den besagten J. Richter und Fotografen der oben gezeigten Daguerreotypie handeln.


Der von Wolfgang Baier angegebene Vorname Julius, für den Baier keinen Beleg anführt, ist daher rückblickend wohl falsch. Wenn JOH keine Abkürzung für „Julius Otto Heinrich“ oder dergleichen ist, dann lautet der richtige Vorname von Richter wohl eher Johann oder Johannes.

Es handelt sich bei dem Fotografen J. oder Joh. Richter dagegen nicht um den Autor des Aufsatzes „Zur Geschichte der Photographie“, in: II. Programm der Realschule zu Weimar, Ostern 1861, Weimar, Druck der Hof-Buchdruckerei, 1861 (Vorhanden in der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Signatur: Art. plast.1187,034). Diese geschichtliche Zusammenfassung der Entwicklung der Fotografie seit Daguerre wurde von dem in Weimar tätigen Reallehrer Dr. J. Richter geschrieben.

Heinz-Werner Lawo, Ende August 2012

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